Der Präsident der staatlich-türkischen Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbaş, hat kürzlich Wien besucht, um ein Kooperationsabkommen mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) zu unterzeichnen. Dies berichtet queer.de in einem aktuellen Artikel. Der Besuch und die Vereinbarung werfen beunruhigende Fragen auf, da Erbaş für seine offen homophoben Äußerungen bekannt ist, die sowohl in der Türkei als auch international für Empörung sorgten.
Hassreden mit staatlicher Rückendeckung
Erbaş hatte in der Vergangenheit mehrfach mit queerfeindlichen Aussagen für Schlagzeilen gesorgt. In einer Predigt behauptete er, dass der Sinn von Homosexualität sei, "Krankheiten zu verbreiten und Generationen verfaulen zu lassen". Er rief Gläubige dazu auf, gemeinsam gegen Menschen vorzugehen, die er als "Arten des Bösen" bezeichnete. Bei einer anderen Gelegenheit nannte er den CSD "Ketzerei" und forderte, Kinder und Jugendliche vor "abartigen Konzepten" zu schützen.
Statt einer Distanzierung der türkischen Regierung erhielt Erbaş Unterstützung vom höchsten Niveau. Präsident Recep Tayyip Erdoğan stellte sich demonstrativ hinter den Religionsführer und erklärte dessen Aussagen für "absolut richtig". Erdoğan ging sogar so weit zu behaupten, ein Angriff auf den Diyanet-Chef sei "ein Angriff auf den Staat", wie The Times of Israel berichtete.
Besorgniserregende Kooperation mit weitreichenden Folgen
Die nun unterzeichnete Vereinbarung zwischen IGGÖ und Diyanet soll laut offizieller Mitteilung die "Grundlage für eine verstärkte bilaterale Zusammenarbeit" bilden. Besonders brisant ist dabei der geplante Ausbau der Kooperation in den Bereichen "wissenschaftlicher Forschung" und "theologischer Ausbildung". Die IGGÖ vertritt alle in Österreich lebenden Muslime – über 700.000 Menschen – und ist unter anderem für den Islamunterricht an österreichischen Schulen sowie die Ausbildung von Islamlehrer*innen zuständig.
Besonders in Wien hat diese Entscheidung weitreichende Konsequenzen: Laut Daten der Stadt Wien gehören mittlerweile 41,2 Prozent der Kinder in den Volks- und Mittelschulen dem Islam an – mehr als jenen mit christlichem Glauben (34,5 Prozent). Die Einflussnahme einer Institution, deren Leiter offen queerfeindliche Positionen vertritt, auf die religiöse Bildung ist daher höchst problematisch.
Parallelen und Reaktionen in Deutschland
Auch in Deutschland haben die homophoben Äußerungen von Ali Erbaş für Besorgnis gesorgt. Deutsche Politiker kritisierten den türkischen Geistlichen scharf und betonten, dass die Situation für LGBTIQ+-Personen in der Türkei zunehmend gefährlich werde. Von den in Deutschland tätigen DİTİB-Imamen – die ebenfalls dem türkischen Diyanet unterstehen – wurde explizit eingefordert, sich an die Grundwerte von Freiheit und Toleranz zu halten.
Im Gegensatz zur Situation in Österreich gibt es in Deutschland mit der Ibn-Rushd-Goethe Moschee in Berlin eine bekannte queerfreundliche muslimische Einrichtung. Sie steht für einen modernen und liberalen Islam und bietet einen spirituellen Safe Space für queere Muslim*innen. 2022 hisste die Moschee als erste weltweit die Regenbogenfahne – ein Zeichen, das in Österreich bislang fehlt. Alle Versuche, eine ähnliche Einrichtung in Österreich zu etablieren, sind bisher gescheitert.
Fragwürdige Distanzierung
Auf die Kritik an der Kooperation reagierte die IGGÖ gegenüber der Zeitung "Der Standard" mit einer lauen Erklärung: Die Kooperationspartner seien "eigenständige Institutionen" und für ihre Äußerungen "selbst verantwortlich". Nicht jede Aussage oder Position werde von der IGGÖ geteilt oder kommentiert. Man distanziere sich von "pauschalisierenden, diskriminierenden oder menschenverachtenden Aussagen".
Diese allgemeine Distanzierung wirft jedoch Fragen auf: Wie kann eine enge Zusammenarbeit in Bereichen wie theologischer Bildung gelingen, wenn fundamentale Wertevorstellungen zu Menschenrechten und Gleichberechtigung so weit auseinanderklaffen? Die IGGÖ trägt als verantwortliche Institution für die religiöse Bildung muslimischer Kinder und Jugendlicher in Österreich eine besondere Verantwortung.
Für die LGBTIQ+-Community in Österreich sendet diese Kooperation ein beunruhigendes Signal. In einem Land, in dem es noch immer keine queerfreundliche Moschee gibt, verstärkt die Partnerschaft mit einem bekannten Verfechter homophober Ansichten die Isolation queerer Muslim*innen und erschwert die Entwicklung eines inklusiveren religiösen Umfelds.