Das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In) hat in einem aktuellen Bericht erstmals ein umfassendes Bild der Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen in Deutschland erstellt. Die Ergebnisse sind alarmierend: Nur 60 Prozent aller 209 analysierten Pride-Events im Jahr 2024 verliefen störungsfrei.
Die erschreckenden Zahlen hinter den Angriffen
Die Analyse des AK Fe.In deckt sich mit weiteren Untersuchungen wie jener des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das zwischen Juni und September 2024 bundesweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen verzeichnete. Das Bundesinnenministerium zählte für denselben Zeitraum 22 organisierte Proteste gegen Pride-Events.
NSU Watch berichtet, dass 40% der CSDs und Pride-Veranstaltungen bundesweit auf unterschiedliche Weise angegriffen wurden. Bei 32,5% der Veranstaltungen kam es zu Störungen, Sachbeschädigungen, verbalen und/oder körperlichen Angriffen auf Teilnehmende. Besonders besorgniserregend: Laut AK Fe.In handelt es sich dabei nur um das "Hellfeld" - es muss davon ausgegangen werden, dass viele Anfeindungen nicht öffentlich gemacht wurden.
Kein neues Phänomen, aber eine neue Dimension
Die Autor*innen des Berichts betonen, dass Mobilisierungen gegen Prides kein neues Phänomen sind. "Extrem rechte Akteur*innen hetzen seit langer Zeit gegen queere Personen und Pride-Veranstaltungen", heißt es im Bericht. So versuchte beispielsweise die neonazistische Kleinpartei "Der III. Weg" bereits 2021, gegen CSDs zu mobilisieren.
Neu hingegen ist das Ausmaß und die Intensität der Angriffe. Die Aktivitäten waren dezentral organisiert, erreichten aber in der Summe die größte rechtsextreme Mobilisierung der letzten Jahre. Besonders in Sachsen waren die Mobilisierungen stark ausgeprägt - in Bautzen demonstrierten etwa 700 Neonazis gegen 1.000 CSD-Teilnehmer*innen.
Die Akteure hinter den Angriffen
An den Anti-Pride-Demonstrationen beteiligten sich sowohl Anhänger der etablierten Neonazi-Szene als auch Mitglieder neuer rechtsextremer Jugendbewegungen. Viele dieser neuen Gruppen haben laut CeMAS erst durch die Teilnahme an Anti-CSD-Demonstrationen an Zugkraft gewonnen. Sie sind oft jung, online aktiv und gewaltbereiter als ältere rechtsextreme Gruppierungen.
Die rechtsextremen Teilnehmer brachten ihre Queerfeindlichkeit durch eine Mischung aus hasserfüllter Rhetorik, Einschüchterungen und (versuchten) Gewalttaten zum Ausdruck. Neben den physischen Angriffen beobachteten die Forscher*innen auch digitale Gewalt in Form von Anfeindungen, Hate Speech und Shitstorms gegen CSDs, Organisator*innen, Teilnehmende und queere Personen in sozialen Medien.
Regionale Schwerpunkte
Sachsen bildete einen Schwerpunkt der rechtsextremen Mobilisierungen. In Brandenburg wurden 9 von 14 CSDs gestört, jedoch nur bei einer angemeldeten rechten Demo. In Leipzig konnten größere Ausschreitungen nur dadurch verhindert werden, dass die Polizei etwa 400 Neonazis am Bahnhof festhielt und nicht zur CSD-Route ließ.
Fast alle Anti-CSD-Demonstrationen wurden von einer starken Polizeipräsenz begleitet, um die Pride-Teilnehmer*innen zu schützen. In einigen Fällen mussten Teile von Veranstaltungen aufgrund des Gefahrenpotentials abgesagt werden.
Lehren für die Zukunft
Die ausführlichen und flächendeckenden Erkenntnisse des AK Fe.in bieten eine wichtige Grundlage, um sich auf die Pride-Saison 2025 vorzubereiten. Diese ist in Schönebeck bereits mit Anfeindungen gestartet.
Die Autor*innen betonen, wie wichtig es sei, sich trotz der besorgniserregenden Entwicklungen nicht einschüchtern zu lassen: "Die Erfahrungen der letzten Jahre beispielsweise in Polen, wo CSDs mittlerweile einer umfassenden Diskriminierung und in Ungarn sogar einem Komplettverbot ausgesetzt sind, zeigen, wohin die Entwicklung gehen kann, wenn nicht eine ausreichend breite gesellschaftliche Front sich gegen die Naziangriffe stellt."
Für die kommende Pride-Saison wird es entscheidend sein, breite Bündnisse zu schmieden und Solidarität zu zeigen. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie der LSVD rufen dazu auf, queerfeindliche Vorfälle konsequent zu melden und sich gemeinsam gegen Hass und Hetze zu positionieren.