Von Südafrika bis Deutschland: Sieben wegweisende Urteile zur rechtlichen Anerkennung diverser Familien

Die rechtliche Anerkennung diverser Familienformen ist weltweit ein Thema, das durch bedeutende Gerichtsurteile vorangetrieben wird. Outright International hat kürzlich sieben wegweisende internationale Urteile zusammengestellt, die für die globale LGBTQ+-Bewegung von herausragender Bedeutung sind. Diese Urteile haben nicht nur in ihren jeweiligen Ländern, sondern auch international wichtige Präzedenzfälle geschaffen – mit Parallelen und Auswirkungen auch auf die Situation in Deutschland.

Südafrika 2003: Gleiches Elternrecht für lesbische Paare

Lange bevor Deutschland die „Ehe für alle" einführte, sorgte Südafrika für einen Durchbruch: Im Fall „J and B v. Director General, Department of Home Affairs" (2003) entschied das Verfassungsgericht, dass beide Partnerinnen eines lesbischen Paares als rechtliche Eltern ihrer durch künstliche Befruchtung gezeugten Kinder anerkannt werden müssen. Das Gericht erklärte Teile des Gesetzes für verfassungswidrig, da es gleichgeschlechtliche Paare diskriminierte.

In Deutschland mussten lesbische Paare noch bis vor Kurzem den Umweg über eine Stiefkindadoption gehen, damit die nicht-gebärende Mutter rechtlich anerkannt wurde. Erst die aktuell geplante Reform des Abstammungsrechts soll diesen diskriminierenden Umweg beseitigen – mehr als 20 Jahre nach dem südafrikanischen Urteil.

Chile 2012: Sexuelle Orientierung darf keine Rolle bei Sorgerecht spielen

Der Fall „Atala Riffo und Töchter gegen Chile" (2012) war wegweisend für ganz Lateinamerika. Karen Atala Riffo, eine Richterin und Mutter, verlor das Sorgerecht für ihre Kinder, nachdem sie eine Beziehung mit einer Frau begonnen hatte. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, dass Chile sie diskriminiert hatte, und stellte klar: Die sexuelle Orientierung darf bei Sorgerechtsentscheidungen keine Rolle spielen.

Dieses Prinzip wurde in Deutschland bereits früher anerkannt. Der Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 18. August 2009 stellte klar, dass die Homosexualität eines Elternteils bei Sorgerechts- und Umgangsentscheidungen keine Rolle spielen darf. Dennoch berichten LGBTQ+-Eltern in Deutschland weiterhin von subtilen Vorurteilen in Familiengerichtsverfahren.

USA 2015: Die Ehe für alle als verfassungsmäßiges Recht

Der Fall „Obergefell v. Hodges" (2015) machte die gleichgeschlechtliche Ehe in allen US-Bundesstaaten legal. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass das Recht zu heiraten ein grundlegendes Freiheitsrecht ist, das allen Paaren unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung zusteht.

Deutschland folgte diesem Beispiel erst zwei Jahre später: Am 30. Juni 2017 verabschiedete der Bundestag die „Ehe für alle", die am 1. Oktober 2017 in Kraft trat. Der Weg dahin war lang – von der Eingetragenen Lebenspartnerschaft (2001) bis zur vollständigen rechtlichen Gleichstellung vergingen 16 Jahre. Mit der Öffnung der Ehe erhielten gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland auch das Recht zur gemeinschaftlichen Adoption, wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) informiert.

Frankreich 2017: Keine Zwangssterilisation für die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität

Im Fall „A.P., Garçon und Nicot gegen Frankreich" (2017) entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Anforderung einer Sterilisation oder anderer irreversibler medizinischer Eingriffe für die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität gegen die Menschenrechte verstößt.

Diese Entscheidung hatte direkte Auswirkungen auf Deutschland: Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2011 die Zwangssterilisation als Voraussetzung für die Personenstandsänderung für verfassungswidrig. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG), das am 1. November 2024 in Kraft trat, wurde Deutschland zu einem Vorreiter in Europa. Es erlaubt trans-, inter- und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu ändern – ohne psychiatrische Gutachten oder medizinische Eingriffe.

Taiwan 2017-2019: Der Weg zur ersten gleichgeschlechtlichen Ehe in Asien

Taiwan schrieb Geschichte, als der langjährige Aktivist Chi Chia-wei und die Stadtregierung von Taipeh das Verfassungsgericht anriefen. Dieses entschied 2017, dass das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe verfassungswidrig sei. 2019 wurde Taiwan das erste asiatische Land, das die Ehe für alle legalisierte.

In Deutschland gibt es eine wachsende breite gesellschaftliche Akzeptanz für die Gleichstellung von LGBTQ+-Personen. Dennoch machten die Debatte um die „Ehe für alle" und spätere Diskussionen über Reformen im Familienrecht deutlich, dass auch in Deutschland unterschiedliche gesellschaftliche Vorstellungen von Familie existieren.

Russland 2021: Elternrechte für transgender Eltern

Der Fall „A.M. und andere gegen Russland" (2021) betraf eine transgender Frau, der nach ihrer Transition das Umgangsrecht mit ihren Kindern entzogen wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, dass Russland ihre Rechte verletzt hatte, und betonte, dass Entscheidungen über Elternrechte auf dem Kindeswohl basieren müssen, nicht auf gesellschaftlichen Vorurteilen.

In Deutschland wurde mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz erstmals auch die Elternschaft von trans*, inter* und nichtbinären Personen gesetzlich geregelt. Nach Informationen des Familienportals des Bundes kann beispielsweise ein nicht gebärender transgeschlechtlicher Mann, der bereits zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes die männliche Geschlechtsangabe führte, die Vaterschaft anerkennen. Dennoch bleibt das Abstammungsrecht überwiegend binär ausgerichtet – eine umfassende Reform steht noch aus.

Peru 2023: Staatsbürgerschaft für Kinder gleichgeschlechtlicher Eltern

Der Fall von Ricardo Morán, einem peruanischen Fernsehproduzenten, der durch Leihmutterschaft in den USA Vater von Zwillingen wurde, endete 2023 mit einem bahnbrechenden Urteil. Das peruanische Verfassungsgericht ordnete an, die Kinder als peruanische Staatsbürger zu registrieren – trotz des Fehlens einer Mutter in den Dokumenten.

In Deutschland werden Kinder, die durch Leihmutterschaft im Ausland geboren wurden, nicht automatisch anerkannt. Die rechtliche Anerkennung erfolgt oft erst nach langwierigen Gerichtsverfahren, wie der LSVD berichtet. Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet Leihmutterschaft, was viele gleichgeschlechtliche männliche Paare mit Kinderwunsch vor rechtliche Herausforderungen stellt.

Deutschland im internationalen Vergleich

Diese internationalen Urteile zeigen, dass die rechtliche Anerkennung diverser Familienformen ein globaler Prozess ist, bei dem Deutschland manchmal Vorreiter, manchmal Nachzügler war. Mit der geplanten Reform des Abstammungsrechts könnte Deutschland einen weiteren wichtigen Schritt gehen: Nach Angaben des Bundesjustizministeriums sollen künftig beide Frauen in einer lesbischen Beziehung ohne Umweg über die Stiefkindadoption von Geburt an als Mütter anerkannt werden können.

„Diese wegweisenden Urteile aus aller Welt erinnern uns daran, dass der Kampf für die rechtliche Anerkennung aller Familienformen ein globaler ist", erklärt Henny Engels vom LSVD. „In Deutschland haben wir wichtige Fortschritte erzielt, aber wir müssen weiter für ein modernes Familienrecht kämpfen, das der Vielfalt der Lebensrealitäten gerecht wird."

Während der rechtliche Rahmen für diverse Familien in Deutschland Schritt für Schritt verbessert wird, bleiben Herausforderungen bestehen. Die Erfahrungen anderer Länder können dabei wertvolle Impulse für die weitere Entwicklung geben – hin zu einer vollständigen rechtlichen und gesellschaftlichen Anerkennung aller Familienformen.

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