Gericht lehnt höheres Schmerzensgeld für Missbrauchsopfer ab: Der Fall Wilfried Fesselmann gegen die katholische Kirche

Im Prozess um Schmerzensgeld zwischen einem 56-jährigen Missbrauchsopfer und der katholischen Kirche hat das Landgericht Essen die Forderung nach einer Zahlung von mindestens 300.000 Euro zurückgewiesen. Wie queer.de berichtet, steht für das Gericht zwar fest, dass der Missbrauch wie geschildert stattgefunden hat – jedoch habe das Bistum Essen bereits ein Schmerzensgeld in Höhe von 45.000 Euro gezahlt, was nach Ansicht des Gerichts angemessen sei.

Der Fall Wilfried Fesselmann

Der Fall des heute 56-jährigen Wilfried Fesselmann sorgt seit Jahren für Aufsehen in der deutschen Öffentlichkeit. Im Sommer 1979 wurde Fesselmann als Elfjähriger von einem Kaplan in der Pfarrwohnung der Essener Gemeinde St. Andreas sexuell missbraucht. Der damalige Geistliche hatte als Zeuge vor Gericht eingeräumt, mit dem Jungen nackt in seinem Bett gelegen zu haben und versucht zu haben, den Jungen im Intimbereich anzufassen. Das Gericht bewertete die vom Kläger abweichende Schilderung des Täters jedoch als nicht glaubhaft. Fesselmann selbst hatte ausgesagt, dass er durch Oralverkehr missbraucht worden war.

Haftung des Bistums anerkannt

Ein wichtiger Aspekt des Urteils ist die grundsätzliche Anerkennung der Haftung des Bistums. Das Gericht bestätigte, dass der Kläger im Rahmen der sogenannten Amtshaftung Anspruch auf Ersatz aller entstandenen materiellen Schäden hat, die auf den Missbrauch zurückzuführen sind. Weil der Kaplan im Auftrag des Bistums gehandelt habe, müsse das Bistum auch für sein Handeln einstehen – auch dafür, "dass der Kaplan den Kläger durch das Ausnutzen seiner Position bei dem Bistum zu sich nach Hause gelockt und dort sexuell missbraucht habe", wie es in der Mitteilung des Gerichts heißt.

Die Frage der angemessenen Entschädigung

Bei der Bewertung des angemessenen Schmerzensgeldes berücksichtigte das Gericht, dass der Kläger in seinem privaten und beruflichen Leben durch die Folgen des Missbrauchs erheblich eingeschränkt ist. Dennoch wurde die Summe von 45.000 Euro als ausreichend angesehen, da sie vergleichbaren Entscheidungen anderer Gerichte entspreche. Der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, bezeichnete das Urteil als Bestätigung des Verfahrens zur Anerkennung des Leids. Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) orientiere sich bei der Festlegung der Zahlungen an gerichtlichen Entscheidungen.

Täter nach Bayern versetzt

Besonders erschütternd an diesem Fall ist, dass der Essener Geistliche nach Missbrauchsvorwürfen in mehreren Fällen Anfang der 1980er Jahre nach Bayern versetzt wurde, angeblich um sich einer Therapie zu unterziehen. Dort ging der Missbrauch laut Bistum Essen jedoch mit zahlreichen weiteren Fällen weiter. Es kam später sogar zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Erst 2010 – also etwa 30 Jahre nach den ersten bekannten Missbrauchsfällen – wurde der Täter aus dem kirchlichen Dienst entfernt und später in den Laienstand zurückversetzt, wodurch er auch seine kirchlichen Altersbezüge verlor.

Zunehmende Klagen gegen die Kirche

Der Fall Fesselmann steht beispielhaft für eine Entwicklung, die seit 2022 zu beobachten ist: Immer mehr Missbrauchsopfer wagen den Schritt, vor Zivilgerichten gegen Bistümer zu klagen. Die Verjährungsfristen im Strafrecht verhindern in vielen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung der Täter – wie auch im Fall Fesselmann. Zivilrechtliche Klagen auf Schmerzensgeld stellen für viele Betroffene oft die einzige Möglichkeit dar, eine Form der Gerechtigkeit zu erfahren.

Berufung möglich

Das Urteil in der Zivilklage ist noch nicht rechtskräftig. Der Kläger hat die Möglichkeit, Berufung am Oberlandesgericht in Hamm einzulegen. Ob Wilfried Fesselmann diesen Weg beschreiten wird, ist derzeit noch nicht bekannt. Der Fall bleibt ein wichtiger Präzedenzfall für die rechtliche Bewertung von Missbrauchsfällen in kirchlichen Kontexten und die Frage, welche Entschädigungssummen als angemessen gelten können.

Bedeutung für die LGBTQ+ Community

Fälle sexuellen Missbrauchs wie dieser betreffen die LGBTQ+ Community in besonderer Weise, da sie häufig von konservativen Kräften instrumentalisiert werden, um Homosexualität und Pädophilie in einen falschen Zusammenhang zu stellen. Es ist daher umso wichtiger, diese Fälle differenziert zu betrachten und klar zu benennen, dass es sich beim sexuellen Missbrauch um Machtmissbrauch handelt – unabhängig von der sexuellen Orientierung der Täter. Für die Betroffenen ist es oft ein jahrzehntelanger Kampf, Anerkennung und angemessene Entschädigung zu erhalten, wie der Fall Fesselmann eindrücklich zeigt.

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