Während Deutschland im April 2024 mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz einen historischen Schritt für Trans-Rechte machte, entwickelt sich das Vereinigte Königreich in die entgegengesetzte Richtung. Dr. Victoria McCloud, Großbritanniens erste offen transgender Richterin, hat nun einen beispiellosen Schritt unternommen: Sie bittet internationale Völkermord-Präventionsorganisationen, die "systematische Unterdrückung" von Trans-Personen in Großbritannien zu untersuchen.
Der Kontrast zwischen Deutschland und Großbritannien
Während deutsche Trans-Personen seit diesem Jahr ihr Geschlecht und ihren Namen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern können, erleben Trans-Menschen in Großbritannien einen dramatischen Rückschritt ihrer Rechte. Das deutsche Selbstbestimmungsgesetz, das auf dem Prinzip der Selbstbestimmung basiert und keine medizinischen Gutachten mehr erfordert, steht in krassem Gegensatz zu den jüngsten Entwicklungen jenseits des Ärmelkanals.
McCloud beschreibt die Realität britischer Trans-Menschen drastisch: "Wir in Großbritannien sehen uns Toilettenverboten, Gewalt, Missbrauch, bewusster sozialer Ausgrenzung, Leibesvisitationen von Trans-Frauen durch männliche Polizisten und Aufrufen gegenüber, uns in Toiletten und anderen Räumen zu fotografieren."
Ein wegweisendes Gerichtsurteil mit verheerenden Folgen
Der Auslöser für McClouds dramatischen Appell war eine Entscheidung des britischen Supreme Court, der den Begriff "Geschlecht" im Equality Act von 2010 als "biologisches Geschlecht" definierte. Diese Entscheidung wurde von Premierminister Keir Starmer begrüßt, löste aber in der Trans-Community Entsetzen aus.
Die Equality and Human Rights Commission (EHRC) veröffentlichte daraufhin Leitlinien, die den Ausschluss von Trans-Personen aus Einrichtungen fordern, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen – in einigen Fällen sogar aus solchen, die ihrem Geburtsgeschlecht entsprechen.
Der Begriff "Kultureller Völkermord" im Fokus
McCloud verwendete bewusst den Begriff des "kulturellen Völkermords" – ein Konzept, das 1944 von dem polnischen Juristen Raphael Lemkin geprägt wurde. Es beschreibt die systematische Zerstörung einer Kultur, ohne notwendigerweise deren Menschen physisch zu vernichten.
Das Lemkin Institut hatte bereits zuvor die "völkermörderische Natur" geschlechtskritischer Ideologien hervorgehoben, die "gleichzeitig leugnen, dass transgender Identität real ist, und versuchen, sie vollständig aus der Gesellschaft zu tilgen".
Europäische Dimension des Protests
McClouds Aufruf ist Teil einer breiteren europäischen Initiative. Führende britannische Trans-Organisationen haben bereits den Europarat um eine Untersuchung der Behandlung von Trans-Personen in Großbritannien gebeten. Der offene Brief zitiert den Fall Christine Goodwin vs. UK vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2002, in dem argumentiert wurde, dass Großbritannien die Rechte einer Trans-Frau verletzt hatte, indem es ihre Geschlechtsidentität nicht anerkannte.
"Wir glauben, dass Trans-Personen in Großbritannien in diese Zwischenzone zurückversetzt werden, wodurch der Staat erneut seine positiven Verpflichtungen unter der Konvention verletzt", heißt es in dem Brief.
Deutsche Perspektive auf internationale Menschenrechte
Für die deutsche LGBTQ+-Community ist diese Entwicklung besonders besorgniserregend, da sie zeigt, wie schnell hart erkämpfte Rechte wieder verloren gehen können. Während Deutschland als Vorreiter für Trans-Rechte in Europa gilt – Trans-Personen können hier bereits seit 1980 ihr rechtliches Geschlecht ändern – verdeutlicht der britische Rückschritt die Fragilität dieser Fortschritte.
Jess O'Thomson, Rechtsexpertin der Trans+ Solidarity Alliance, betont: "Trans-Personen wird bei der Arbeit und von Dienstleistern gesagt, dass sie die Toiletten nicht mehr benutzen können, die sie seit Jahrzehnten benutzt haben. Das ist ein enormer Rückschritt unserer Rechte."
Ein Weckruf für Europa
McClouds mutiger Schritt, internationale Aufmerksamkeit auf die Situation britischer Trans-Personen zu lenken, sollte als Warnung für ganz Europa verstanden werden. Während Deutschland mit seinem progressiven Selbstbestimmungsgesetz zeigt, wie Trans-Rechte gestärkt werden können, demonstriert Großbritannien, wie schnell diese Rechte wieder abgebaut werden können.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die internationale Gemeinschaft auf McClouds Appell reagiert und ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erneut eingreifen muss, um die Rechte von Trans-Personen in Europa zu schützen.